Archäologie. - London als Hauptstadt der römischen Provinz Britannien besaß auch ein Amphitheater. So lag auch die Vermutung nahe, dass die Schädel junger Männer, die vor 25 Jahren in seiner Nähe entdeckt wurden, mit Gladiatorenkämpfen in Verbindung standen. Archäologen haben nun die menschlichen Überreste wissenschaftlich untersucht und im "Journal of Archaeological Science" darüber berichtet.
An der Ausgrabung 1988 habe sie selbst nicht teilgenommen, sagt Rebecca Redfern, denn da war sie erst neun Jahre alt. Aber ein Teil ihres Jobs heute als Archäologin am Museum von London sei die wissenschaftliche Bearbeitung von Sammlungen, die in den Archiven lagern. Vor drei Jahren begann sie mit der Untersuchung der 39 Schädel, die in mehreren Gruben in der Nähe des heute unterirdisch verlaufenden Flusses Walbrook in London entdeckt worden waren.
"Die Sammlung besteht aus Unterkiefern, sowie vollständigen oder nur teilweise erhaltenen Schädeln. Und alle weisen zahlreiche Spuren von Verletzungen auf."
Zunächst bestimmte Rebecca Redfern das Alter und Geschlecht. Den eindeutig bestimmbaren Schädeln zufolge handelte es sich ausschließlich um Männer meist jüngeren Alters. Im nächsten Schritt fokussierte sich die britische Archäologin auf Besonderheiten, von denen es zahlreiche gab. Durch Anhaftungen an den Schädeln etwa wurde schnell klar, dass sie nicht aus Gräbern herausgeschwemmt worden waren, wie ursprünglich angenommen, sondern alle dort abgelegt wurden. Datierungen ergaben, dass die Schädel alle aus der Zeit vor 120 bis 160 nach Christus stammen. Damit ist auch unwahrscheinlich, dass es sich um Kriegsopfer handelt.
"Zu dieser Zeit gab es in London und im südlichen England keine kriegerischen Auseinandersetzungen. Aber viele römische Soldaten waren dort stationiert und ein Amphitheater gab es auch. Warum und wie kamen diese Schädel also dorthin? Entweder starben diese Menschen direkt in der Arena beim Kampf oder Soldaten brachten die Schädel als Beweis oder Trophäe mit in die Stadt."
Die Schädel zeigen zum einen tödliche Verletzungen. In einem Fall weist ein Unterkiefer deutliche Anzeichen eines langen und geraden Schnittes auf: Vermutlich die Folge einer Enthauptung durch ein Schwert. Aber auch verheilte Wunden sind darunter, etwa ein vernarbtes Jochbein. Eine solche Verletzung entsteht meist, wenn der Schädel von einem stumpfen Gegenstand mit hoher Geschwindigkeit getroffen wurde, vermutlich also bei einem Kampf. Ein weiterer Schädel weist im Bereich der Ohren eindeutige Spuren von Hundezähnen auf.
"Und das deutet darauf hin, dass an den Schädeln noch weiches Material, also Haut und Knorpel, vorhanden war, was für die Hunde vermutlich ein Leckerbissen bedeutete. Dies ist auch ein Hinweis darauf, dass die Grube einige Zeit offen war, wo Hunde also rein- und rausspringen konnten. Keine schöne Geschichte."
Ob es sich bei den Toten tatsächlich um Delinquenten handelte, die mit dem Tod bestraft und deren Köpfe dann zur Schau gestellt wurden oder sie sich zur Unterhaltung der römischen Besatzer gegenseitig umbringen mussten, ist nicht klar. Ebenso sei es möglich, dass es Gladiatoren waren, die in der Arena starben. Fest steht nur eines, so Rebecca Redfern.
"Zusammengefasst ist dies der erste Beweis für eine Art rituelles Ablegen sterblicher Überreste in diesem Flusstal in London. Und auch hinsichtlich der Anzahl der Schädel, die alle diese vielen und schweren Verletzungen aufweisen, so etwas haben wir dort noch nie gesehen. Das sind alles schreckliche, neue Erkenntnisse, die bislang einzigartig für das römische London sind."
Von Michael Stang
Quelle:www.deutschlandfunk.de